Singalong-Konzert vom 10.4.2022, Lukaskirche Luzern, 18-20 Uhr
Orchester, Chor und Solisten
Orchester |
Capricornus Consort Basel, Peter Barzci, Konzertmeister |
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Sopran | Gabriela Glaus | |
Alt | Ursina Patzen | |
Tenor | Remy Burnens, Evangelist | |
Bass | Andreas Schib, Serafin Heusser |
Zum Werk
Matthäus-Passion – Werkeinführung von Valentin Schönherr
«Die Matthäus-Passion ist die schönste Musik, die ich noch gehört habe, nichts hat jemals solchen Eindruck auf mich gemacht», bekannte einmal die Schriftstellerin Ricarda Huch. Viele haben es ähnlich intensiv erlebt, und so finden sich häufig Attribute wie «gross», «grossartig», «wundervoll», «überwältigend». «Unermessliche Verwunderung» überkam Friedrich Nietzsche, für Hermann Hesse war sie der «Inbegriff aller Poesie und alles künstlerischen Ausdrucks». Für Dorothee Sölle bestand das Besondere dieses Werks gerade darin, dass es uns als Hörer erst zur Vollendung bringt: «… als forderte mich diese Musik zu einer Ergänzung heraus, zu etwas, das sie nicht mitbringt, aber von mir verlangt. Als sei die Matthäuspassion von JSB unvollendet, weil wir nicht nachkommen, ungeniessbar, weil wir ihre Frucht nicht aneignen können, ehe wir den Weg mit unseren Stationen gegangen sind.»
Die «Passio Domini nostri Jesu Christi secundum Evangelistam Matthaeum» hat Johann Sebastian Bach wahrscheinlich 1727 in Leipzig uraufgeführt, 1736 hat er sie vervollkommnet und jene äusserst sorgfältige Partitur-Reinschrift angefertigt, die uns bis heute beeindruckt. Grössere Verbreitung erlangte die Matthäus-Passion bekanntlich erst durch Felix Mendelssohn, der sie in Zusammenarbeit mit Carl Friedrich Zelter 1829 in Berlin zur Wiederaufführung brachte, wenn auch in einer stark gekürzten Fassung. Rasch fand sie nun ihren festen Platz im Musikleben, und durch regelmässige Aufführungen am Palmsonntag oder Karfreitag erhielt sie sogar die quasi-liturgische Funktion zurück, für die Bach sie einst geschrieben hatte. Übrigens ist nicht nur die fast hundertjährige Lücke zwischen Bach und Mendelssohn bemerkenswert, sondern auch, dass es bis zur ersten ungekürzten Aufführung noch einmal bis 1912 dauerte. Diese unternahm damals der Philharmonische Chor Berlin, bei dem Ulrike Grosch, die Dirigentin des heutigen Abends, von 1994 bis 2003 als Assistentin des Chorleiters Uwe Gronostay tätig war; eine schöne Koinzidenz.
Was macht nun aber die besondere Wirkung der Matthäus-Passion aus? Warum geht sie uns so nah? Auch wenn jeder diese Frage etwas anders beantworten mag und ein Rest des Unerklärlichen und Rätselhaften bleibt – die textliche und musikalische Gestalt dieses überaus reichhaltigen Werks kann den tiefen Eindruck, den es bei vielen hinterlässt, zu einem gewissen Teil erklären.
Zunächst verdient der Text Beachtung. Er setzt sich zusammen aus dem Bibeltext (Matthäusevangelium Kapitel 26 und 27 in der Übersetzung Martin Luthers), einigen Strophen von Kirchenliedern, mehrheitlich aus der Feder Paul Gerhardts, sowie freien lyrischen Texten, verfasst vom Barockdichter Christian Friedrich Henrici, genannt Picander. Die einzelnen Schichten repräsentieren die verschiedenen Zugänge zum Passionsgeschehen: das Gotteswort erscheint im Evangelientext, die christliche Gemeinde äussert sich in den Kirchenliedern. Henricis Verse hingegen geben der Reflexion des Einzelnen Raum, manchmal auch einer Gruppe. Das Zusammenspiel zwischen Choral und Dichtung, zwischen Gemeindelied und individueller Erfahrung ist es also, immer im Bezug auf die biblische Handlung, was die Zuhörer einbindet.
Vertrauensverhältnis zwischen Publikum und Werk
Bach nennt Henrici auf dem Titelblatt der Reinschrift noch vor dem eigenen Namen – das ist mehr als eine Höflichkeitsgeste, denn dieser hat im Falle der Matthäus-Passion Beachtliches geleistet. So arbeitet er beispielsweise mit einprägsamen Wortpaaren («Buss und Reu», «Kreuz und Becher», «Blut und Wunden», «Lieb und Huld»), bedeutungstragenden Vokalfarben («Am Abend, da es kühle war», «Aus Liebe will mein Heiland sterben») und anschaulichen Metaphern («den Kelch, des Todes Bitterkeit», «Mond und Licht ist vor Schmerzen untergangen, weil mein Jesus ist gefangen»). Der Vergleich mit anderen Passionstexten von Bachs Zeitgenossen hat gezeigt, dass dort oft auch recht drastisches Vokabular genutzt wurde. So heisst es in der zur damaligen Zeit überaus beliebten Passion von Heinrich Brockes: «Die zarten Schläfen sind bis ans Gehirne durchlöchert und durchbohrt.» Indem Henrici auf solche Mittel der Überwältigung konsequent verzichtet, schafft er bereits im Text die Grundlage für das Vertrauensverhältnis zwischen Publikum und Werk, das notwendig ist, um wirklich berührt zu werden.
Die eigentliche Zusammenstellung der Texte geht hingegen auf Bach selbst zurück, und noch ganz abgesehen von der musikalischen Gestalt bieten die inhaltlichen Beziehungen der einzelnen Textbestandteile einen schier unerschöpflichen Vorrat an Bemerkenswertem, «ein weitmaschiges, aber festgeknüpftes Beziehungsnetz mit Entsprechungen, Querverbindungen, Leitmotiven, Vorwegnahmen und Rückbeziehungen», wie der Musikwissenschaftler Emil Platen schreibt.
Vergleichsweise einfach, aber sehr wirkungsvoll: Auf die Frage der Jünger, welcher ihn verraten würde («Herr, bin ichs?», Nr. 9e), folgt unmittelbar der Choral «Ich bins, ich sollte büssen» (Nr. 10). Der Chorus «Weissage uns, Christe, wer ists, der dich schlug?» (Nr. 36d) mündet in den Choral «Wer hat dich so geschlagen» (Nr. 37). Komplexer ist das dialogische Element. Mehrere Male findet sich in Bachs Partitur die Eintragung «Tochter Zion und die Gläubigen». Mit «Tochter Zion» ist eine ausserhalb des Bibeltextes stehende Person gemeint, die zu Jesus gehört und damit sein Leiden ganz aus der Nähe reflektieren kann. Die «Gläubigen» hingegen halten sich etwas ferner, sind Jesus aber auch ganz zugewandt. Beispielsweise folgt auf das Evangelium in Nr. 18 (Jesus: «Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibet hie und wachet mit mir!») ein Rezitativ und eine Arie, bei der jeweils der Solo-Tenor die «Tochter Zion» verkörpert und der Chor II als «die Gläubigen» antwortet. Daraus ergeben sich eindrückliche Zusammenhänge, etwa wenn auf den Solo-Tenor in Nr. 20 «Ich will bei meinem Jesu wachen» der Chor antwortet: «So schlafen unsre Sünden ein». «Wachen» und «schlafen» scheinen auf den ersten Blick ein Gegensatzpaar zu bilden. Dabei hängen sie direkt zusammen: Durch das Wachen mit Jesus sind die Sünden zwar nicht aus der Welt, doch rücken sie «schlafend» eine Weile in den Hintergrund.
Hineingezogen durch das dialogische Element
Der Dialog prägt jedoch schon den Eingangschor: Während die «Tochter Zion» (Chor I) bereits am Klagen ist, fragen «die Gläubigen» (Chor II) erst, worum es denn geht, um schliesslich in den Klagegesang der ersteren einzustimmen. Da sich das Geschehen gerade im Moment abzuspielen scheint («Sehet ihn aus Lieb und Huld Holz zum Kreuze selber tragen»), erleben wir ein szenisches Geschehen mit, das die Hörer zur inneren Beteiligung einlädt. Der hineinverwobene Choral «O Lamm Gottes unschuldig» betrachtet das Geschehen aus einer übergeordneten Perspektive – und zwar konsequent in Dur, wie ein rettender Gesang, während der Rest zwischen Dur und Moll changiert. Aus dem Zusammenspiel der Texte ergeben sich Gegensatzpaare wie Schuld – Unschuld, Liebe – Sünde, Klage – Erbarmen. So wird hier bereits auf kongeniale Weise das gesamte Passionsgeschehen vorweggenommen, und wir sind mittendrin.
Das musikalische Material des Eingangschors ist im Grunde recht einfach: In einem 12/8-Takt wechseln sich Drei-Achtel-Perioden, meist wogend-fliessend, manchmal steil aufsteigend, mit einer übergebundenen punktierten Viertelnote ab, dazu der durchgehende Bass. Das ist für den ersten langen Abschnitt schon alles. Motivisch begrenztes Material, das nun aber in grösster Lebendigkeit immer neu variiert und moduliert wird, sich reibt und wieder auflöst – ein Charakteristikum für Bachs Musik ganz allgemein. Es geht sofort ins Ohr, man stellt sich vielleicht ein Gelände vor, in dem Menschen gehen und trauern, und ist gebannt, bevor überhaupt die erste Textzeile zu vernehmen ist.
Den Solistinnen und Solisten kommt in der Matthäus-Passion besondere Bedeutung zu. Zwar verkörpern sie bis auf den Evangelisten und Jesus keine festen Rollen, aber mit den zahlreichen Arien doch stabile Charaktere, und sie laden zur Identifikation ein. So sind die Sopranarien den Textpassagen zugeordnet, die von Dank und Liebe reden, schon in «Blute nur, du liebes Herz» (Nr. 8), aber noch mehr bei «Ich will dir mein Herze schenken» (Nr. 13) oder «Aus Liebe will mein Heiland sterben» (Nr. 49). Die Altstimme hingegen füllt die innerlich-gefühlvolle, trauernd-mitleidende Rolle aus, was sie in den wunderbaren Arien «Buss und Reu» (Nr. 6), «Ach, nun ist mein Jesus hin» (Nr. 30), «Erbarme dich, mein Gott» (Nr. 39) und «Können Tränen meiner Wangen» (Nr. 52) zeigt. Der Bass schliesslich singt von Ergebung und Nachfolge, so in «Gerne will ich mich bequemen, Kreuz und Becher anzunehmen» (Nr. 23), «Komm, süsses Kreuz, so will ich sagen» (Nr. 57) und «Mache dich, mein Herze, rein» (Nr. 65).
Viele Passagen in der Matthäus-Passion wirken unmittelbar verständlich und einleuchtend, ohne dass man spontan sagen könnte, warum. Einige Hintergründe erschliessen sich erst bei genauerer Beschäftigung mit dem Notentext oder mehrmaligem Hören. So etwa in der vom Sopran gesungenen Meditation über die Abendmahlsszene (Nr. 12). In der Zeile «Wiewohl mein Herz in Tränen schwimmt, dass Jesus von mir Abschied nimmt» ist das Wort «Jesus» in einer kleinen komplexen Struktur auskomponiert, die im Zusammenhang des gesamten Rezitativs mit seinen freien Rhythmen fast zufällig wirkt. Aber nein: In der letzten Zeile «so liebt er sie bis an das Ende» taucht diese Struktur fast identisch wieder auf – und zwar zu den Worten «liebt er». Der befürchtete Abschied Jesu ist gar keiner: was bleibt, ist seine erlösende Liebe.
Das Kreuz mit den Tonarten
Ganz aufregend ist der Chor «Sind Blitze, sind Donner» (Nr. 27b) gestaltet. Mit einem Fugato setzt der Chor zunächst vierstimmig ein, um sich bald achtstimmig aufzufächern und das Drama zu verschärfen. Die «Donner»-Koloraturen der Bässe werden durch das Orchester verstärkt, Blitze und Donner als Ton- und Wortfetzen fliegen hin und her, ein wahrhaft höllisches Geschehen. Während der Satz in h-Moll beginnt (zwei Kreuze), versteigt er sich in der Höllenpassage in Tonarten mit sehr vielen Kreuzen bis hin zum Fis-Dur, was in der zu Bachs Zeiten üblichen Stimmung der Instrumente zusätzlich spannungsreich klingt und weit ausserhalb des damals üblichen Tonartenkanons liegt.
Ähnliche Tonartenphänomene finden sich auch im Schlusschor des ersten Teils, «O Mensch, bewein dein Sünde gross» (Nr. 29), wo die Zeile «… und legt dabei all Krankheit ab» über aberwitzige Stellen mit einem Dis-Dur-Septakkord nach gis-Moll führt. Diese hochkomplexe Choralbearbeitung hat Bach übrigens erst in der Überarbeitung von 1736 eingefügt, in der ersten Fassung stand an dieser Stelle noch der vierstimmige Choral «Jesum lass ich nicht von mir». Der Grund dafür dürfte in der Ausgewogenheit des Gesamtwerks liegen, denn verglichen mit dem Eingangschor Nr. 1 sowie dem Eingangs- und Schlusschor des zweiten Teils (Nr. 30 und Nr. 68) hätte hier etwas gefehlt. Zudem bezieht sich dieser Satz inhaltlich auch auf den Anfang der Matthäus-Passion zurück («… trägt unsrer Sünden schwere Schuld» in Nr. 29 – «all Sünd hast du getragen» in Nr. 1) und fasst das Geschehen des ersten Teils, an dessen Ende Jesus gefangen genommen wird, zusammen.
Der zweite Teil umfasst die Szene vor dem Hohenpriester sowie vor Pilatus und führt über die Kreuzigung bis hin zum Grab. Gerade die beiden dramatischen Verhör- und Gerichtsszenen mit ihren vielen Einwürfen der Menge («Turbae») rücken dieses Oratorium in die Nähe einer Oper, und in der Tat ist die Matthäus-Passion ja auch verschiedentlich auf die Theater- oder Tanzbühne gebracht worden.
Mit der Alt-Arie «Erbarme dich» (Nr. 39) nach dem Verrat des Petrus beleuchtet Bach dann aber wieder das innere Erleben. Die Solovioline und die Altstimme zeichnen in der ausdrucksstarken Melodieführung mit ihren zahlreichen Seufzern und Klagen sowie dem durch Vorhalte und Punktierungen geprägten Rhythmus die erschütterte Gefühlslage nach, nur das durchgehende Pizzicato im Bass verleiht noch Halt. Der Chor in seiner Rolle als theologisch gefestigte Gemeinde antwortet darauf mit dem Choral «Bin ich gleich von dir gewichen, stell ich mich doch wieder ein» (Nr. 40). Es handelt sich hier um eine geistlich besonders beeindruckende Strophe, da sich jeder Gläubige mit seiner Alltagserfahrung direkt in ihr wiederfinden kann. Denn sie erinnert auf der einen Seite an die Zusage der göttlichen Vergebung, aber sie stellt die Gemeinde andererseits als aktiv Handelnde dar, nämlich durch das Schuldbekenntnis («Ich verleugne nicht die Schuld») und durch das im Präsens gegebene Versprechen, sich «wieder» an Jesu Seite «einzustellen», nachdem man von ihm «gewichen» ist. Petrus, das sind auch wir.
Mitzählen beim Zuhören?
Man hat verschiedentlich versucht, in der Gesamtstruktur der Matthäus-Passion eine Ordnung zu finden, die auf Zahlen, Abfolgemustern, Tonarten und Ähnlichem beruht. Das bekannteste Beispiel ist vielleicht der Chor «Herr, bin ichs?» (Nr. 9e), wo der Einwurf vom Sopran, Alt und Tenor je dreimal, vom Bass jedoch nur zweimal gesungen wird – das ergibt zusammen elf, es fehlt also einer der Jünger. Das Problem dieser zum Teil in sich widersprüchlichen Untersuchungsergebnisse: In der Regel haben sie für das eigentliche Hörerlebnis keinerlei Bedeutung. Auch im Fall des «Herr, bin ichs?» würde man nicht merken, wenn man es nicht wüsste, dass der Bass nur zweimal «fragt». Man zählt schliesslich nicht mit.
Die Gerichtsszene – sie beginnt mit dem Verhör Jesu durch Pilatus (Nr. 43) und endet mit dem Choral «O Haupt voll Blut und Wunden» (Nr. 54) – zeigt nun aber doch eine sinngebende, wenn auch nicht strikt schematische Rahmenstruktur. So hat der erste Choral dieser Episode «Befiehl du deine Wege» (Nr. 44) dieselbe Melodie wie «O Haupt voll Blut und Wunden». Ihr Zentrum findet sie in den beiden Turbae «Lass ihn kreuzigen!» (Nr. 45b und Nr. 50b) und darin wiederum das Rezitativ «Er hat uns allen wohlgetan» (Nr. 48) sowie die Sopranarie «Aus Liebe will mein Heiland sterben» (Nr. 49). Der Kontrast könnte nicht schärfer sein: die blindwütige Forderung nach der Hinrichtung eines Unschuldigen auf der einen Seite, die Wohltaten und die Liebe Jesu auf der anderen. Wie unschuldig Jesus ist, führt uns Bach mit eindrucksvollen Mitteln vor: In der Arie «Aus Liebe» erklingt nur das Duett zwischen einer Traversflöte und der Sopranistin, deren weit ausschweifende Partien durch zwei Oboen (Oboe da caccia) mit Harmonien unterlegt werden. Das sonst übliche Basso continuo fehlt, und so entsteht der Eindruck grosser Transparenz. Umso brutaler dann der sich direkt anschliessende zweite Chor «Lass ihn kreuzigen!»
Am Ende: ernste Heiterkeit
Nach der Kreuzigung, gegen Ende der Passion, gewinnt die Vorahnung der Auferstehung Raum. Im Choral «Wenn ich einmal soll scheiden» (Nr. 62), der auch auf die Melodie von «O Haupt voll Blut und Wunden» geht, begegnen wir noch einmal der tiefen Angst vor dem Tod. Der Choral steht in a-Moll und damit viel tiefer als die anderen vier Bearbeitungen (Nr. 15, 17, 44 und 54; diese stehen in E-Dur, Es-Dur, D-Dur und d-Moll). Bemerkenswert ist aber auch, wie Bach die Zeile «Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein» harmonisiert, hier geht es ganz unerhört und schroff durch viele Tonarten auf engstem Raum, und man verliert auch beim Hören fast den Halt.
Nun aber, in der grandiosen Basspartie des Rezitativs «Am Abend, da es kühle war» (Nr. 64) und der Arie «Mache dich, mein Herze, rein» (Nr. 65), hat die Zuversicht das Wort. «Der Friedensschluss ist nun mit Gott gemacht, denn Jesus hat sein Kreuz vollbracht», heisst es da, und: «er soll nunmehr in mir für und für seine süsse Ruhe haben». Der Chor nimmt am Ende (Nr. 68) diesen Gedanken auf. Die Tränen sind noch nicht versiegt. Jesus liegt im Grab, die Leiden und Schrecken sind noch nicht vergessen. Aber die sichere Erwartung ist bereits zu hören, dass Jesu Grab auch «der Seelen Ruhstatt» ist. Verwundert hören wir, dass der Chor in dieser Situation sogar sagt, «höchst vergnügt schlummern da die Augen ein»: das scheint dann doch etwas harmlos. Aber wenn man das «höchst» wörtlich versteht, also als das «höchstmögliche» Vergnügen, dann gewinnt diese Formulierung ihre theologische Ernsthaftigkeit zurück. So ist der Bogen gespannt von der Klage der ersten Worte zur erlösten Heiterkeit der letzten.
Fotos Singalong 2022